Die Phonoindustrie in St. Georgen

Der Name Steidinger ist ein Begriff

Schon im 18. Jahrhundert wurden im Schwarzwald Uhren gefertigt, welche durch die berühmten „Schwarzwälder Uhrenträger“ in ganz Europa und bis in die Türkei verkauft wurden. Diese Form des Uhrengewerbes, die sogenannte „Heim“- oder „Hausuhr-Macherei“ wurde im 19. Jahrhundert allmählich durch viele neu gegründete Uhren-Fabrikationen und später den Uhrenfabriken abgelöst. Diese neuen Spezialbetriebe benötigten spezielle Werkzeuge und Vorrichtungen für die rationelle Serienfertigung ihrer Produkte.

Im St. Georgener Ortsteil Stockwald, im sogenannten „Krumpenloch“ fertigte eine Familie Steidinger über Generationen hinweg im Heimgewerbe Uhrenbestandteile und vor allem selbsterdachte und „ertüftelte“ Spezialwerkzeuge und Vorrichtungen für die Uhrenherstellung.

Mit der Erfindung und Herstellung einer „Spindelbohrmaschine“ mit Teilscheibe zum rationellen Bohren von“Laternen“- oder „Hohl-Trieben“ Mitte des 19.Jahrhunderts wird der Name Steidinger weit über St. Georgen hinaus in der Uhrenindustrie ein Begriff.

1860 heiratet Sohn Christian und eröffnet im Schwiegerelterlichen Haus in St. Georgen eine mechanische Werkstatt für Uhrenbestandteile und Werkzeuge. Auch der bekannte „Spindelbohrer“ wird hergestellt. Er erhält von seinen Mitbürgern den „Übernamen“ Spindle-Chrischte.

Aus der Ehe gehen sechs Kinder hervor; vier Söhne und zwei Töchter. 1862 wird als ältester Josef geboren, 1873 folgt Christian (Junior). Beide erhalten in der väterlichen Werkstatt eine hervorragende Ausbildung im Werkzeug- und Vorrichtungsbau, sowie in der Teilefertigung. Beide machen sich bereits vor der Jahrhundertwende selbständig; und zwar zunächst jeder für sich.

Josef Steidinger mietet sich Räume im Untergeschoss des Gasthauses „Deutsches Haus“ in St. Georgen und beginnt dort 1900 mit der Fertigung von Bestandteilen für Uhren und Wassermesser. Außerdem fertigt er dort die patentrechtlich geschützte „Steidingers ewige Klingel“, eine Türklingel, bei der der Klöppel durch ein „Federwerk“ angetrieben wird.

Da sich die Brüder Josef und Christian Steidinger geschäftlich zusammenschließen wollten, wird beim Wohnhaus von Christian ein Neubau für 40 Mitarbeiter erstellt. Am 1. August 1906 zieht Josef Steidinger mit seinen Mitarbeitern in das neue Gebäude um; es werden nun zusammen 25 Mitabeiter beschäftigt. Am 1. Februar 1907 entsteht dadurch – jetzt auch rechtlich – die Firma „Gebrüder Steidinger, Fabrik für Feinmechanik“.

Nachdem 1907 schon Federwerke für Grammophone – allerdings noch in „Fremdauftrag“ – gefertigt wurden, zeigt das junge Unternehmen auf der Leipziger Frühjahrsmesse 1908 die ersten eigenen Federwerke. Die daraufhin unerwartet hohe Nachfrage veranlasst die jungen Unternehmer bereits 1909 zu einer Erweiterung der Betriebsgebäude.

Zu diesem Zeitpunkt werden von ca. 60 Beschäftigten bereits pro Monat 5.000 Federwerke produziert, was 1910 zu erneuter räumlichen Erweiterung führt. Außer Federwerken für Grammophone werden jetzt auch Federwerkantriebe für die in der Umgebung ansässige Orchestrion-Industrie hergestellt; für die Firma Hohner in Trossingen wird ein Drehteller-Reklamewerk zur Warenpräsentation hergestellt.

Meinungsverschiedenheiten zwischen den beiden Brüdern führten dazu, dass Josef Steidinger 1911 die gemeinsame Firma verlässt und sich erneut selbständig macht. Er mietet sich Räume im „Gasthaus Sonne“ und in der ehemaligen Klostersäge. Da er bei seinem Ausscheiden aus der gemeinsamen Firma einen Teil seiner Geschäftsanteile in Bestandteilen von Federlaufwerken „ausbezahlt“ bekommt, kann er dort sofort eine eigene Fertigung aufbauen. Er gründet noch 1911 die „PERPETUUM Schwarzwälder Federmotoren und Automatenwerke; Inhaber Josef Steidinger“.

Da seine Betriebsräume im vorderen Teil von St. Georgen angesiedelt waren, nannte man seinen Betrieb im Volksmund „der Vordere Steidinger“, während der Betrieb seines Bruders Christian – da im hinteren Teil des Ortes gelegen – als „der Hintere Steidinger“ bezeichnet wurde.

Ebenso hießen die beiden Brüder – nach dem Übernahmen des Vaters – im Volksmund auch weiterhin „Spindle-Sepp“ und „Spindle-Chrischte“.

Brüder die sich einst liebten, Streiten bis aufs Blut